
Inhaltsverzeichnis
Wichtigste Erkenntnisse
- Medizinisches Cannabis kann Migränesymptome reduzieren: Studien zeigen, dass medizinisches Cannabis die Häufigkeit und Intensität von Migräneanfällen verringern und Symptome wie Übelkeit lindern kann.
- THC und CBD haben unterschiedliche therapeutische Wirkungen: THC wirkt schmerzlindernd und entspannend, während CBD entzündungshemmende Eigenschaften hat. Beide können zusammenwirken, um die Schmerzwahrnehmung bei Migräne positiv zu beeinflussen.
- Wissenschaftliche Studien unterstützen die Wirksamkeit: Mehrere Studien und Metaanalysen belegen, dass medizinisches Cannabis bei Migräne die Schmerzintensität und Anfallshäufigkeit reduzieren kann, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen zu verursachen.
- Individuelle Reaktion und ärztliche Beratung sind entscheidend: Die Wirkung von Cannabis kann je nach Person variieren. Eine ärztliche Beratung zur optimalen Dosierung und Form der Anwendung ist wichtig, um Risiken zu minimieren.
- Rechtliche Lage in Deutschland ermöglicht Zugang: Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis verschreiben. Die Kostenübernahme durch Krankenkassen ist möglich, jedoch nicht garantiert.
Migräne zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit und betrifft laut Weltgesundheitsorganisation WHO über eine Milliarde Menschen. Eine Migräne unterscheidet sich von gewöhnlichen Kopfschmerzen vor allem durch ihren Schmerzcharakter und Begleitsymptome. Sie verursacht meist einseitige, pulsierende Schmerzen, begleitet von Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Die Schmerzen dauern oft mehrere Stunden bis Tage an und verschlimmern sich bei Bewegung.
Im Gegensatz dazu sind Spannungskopfschmerzen meist beidseitig, dumpf und drückend ohne begleitende Symptome. Migräne ist eine neurologische Erkrankung, während Kopfschmerzen oft durch andere Ursachen ausgelöst sind. Die genauen Ursachen von Migräne sind noch nicht vollständig geklärt. Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse spielen vermutlich eine Rolle.
Viele Menschen mit Migräne sprechen auf herkömmliche Medikamente nicht ausreichend an oder können diese aufgrund von Nebenwirkungen nicht vertragen. Deshalb suchen zunehmend mehr Betroffene nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten, zu denen auch der Einsatz von medizinischem Cannabis zählt.
Cannabis und Migräne: Das Endocannabinoid-System erklärt
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein wichtiges körpereigenes Steuerungssystem, das dabei hilft, das innere Gleichgewicht des Körpers aufrechtzuerhalten. Es besteht aus speziellen Rezeptoren, die sich wie kleine Schlösser an den Zellen in verschiedenen Organen befinden, und körpereigenen Botenstoffen, die als Schlüssel fungieren. Diese Botenstoffe heißen Endocannabinoide; bekannte Beispiele sind Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG).
Wenn der Körper einen bestimmten Reiz bekommt, werden diese Endocannabinoide auf Abruf produziert und binden dann an die Rezeptoren, wodurch sie diese aktivieren und bestimmte Körperfunktionen regulieren. Danach bauen Enzyme diese Botenstoffe wieder ab, damit die Wirkung nur zeitlich begrenzt anhält.
THC, der psychoaktive Wirkstoff aus der Cannabispflanze, wirkt auf dieses System, weil es dem körpereigenen Anandamid sehr ähnlich ist; er passt also fast wie ein Schlüssel in die gleichen Rezeptoren und löst dadurch vergleichbare Effekte aus.
Klinischer Endocannabinoid-Mangel und Migräne
Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Menschen mit Migräne möglicherweise einen sogenannten „klinischen Endocannabinoid-Mangel" haben. Dies ist eine wissenschaftliche Hypothese, die 2004 zuerst von dem Cannabis Forscher Ethan Russo formuliert wurde (Russo, E.B. 2008). Neuere Forschungsarbeiten stützen diese Hypothese für Migräne; so zeigen umfangreiche Übersichtsarbeiten und Reviews (wie z. B. Okusanya et al., 2022), dass viele Migränepatienten im Vergleich zu Kontrollpersonen niedrigere Werte an gemessenen Endocannabinoiden aufweisen.
Die „Clinical Endocannabinoid Deficiency“ (CED)-Hypothese wird auch heute noch von vielen Wissenschaftlern weiterhin als interessante und mögliche Erklärung für bestimmte chronische Erkrankungen, darunter Migräne, Fibromyalgie und Reizdarmsyndrom, diskutiert.
Aktuelle Forschung zu Cannabis bei Migräne
2020 zeigte eine große App-basierte Auswertung (Cuttler, C. et al. 2020), dass inhalatives Cannabis bei über 12.000 dokumentierten Migräne Anwendungen möglicherweise zu einer Verbesserung der Schmerzstärke beitragen könnte. Allerdings nahm die beobachtete Wirkung bei längerer Anwendung ab, was auf eine mögliche Toleranzentwicklung hindeuten könnte.
In einer systematisches Review (Aviram J. et al. 2022) wurden 12 Studien aus den USA, Kanada und Israel mit insgesamt fast 2000 Teilnehmern analysiert und man fand Hinweise auf eine mögliche Reduktion von Migräne-Tagen, Kopfschmerzfrequenz und begleitender Übelkeit durch medizinisches Cannabis. Die Daten stammen überwiegend aus Beobachtungsstudien; randomisierte klinische Studien fehlen bislang weitgehend.
In Kanada ergaben Befragungen in Kopfschmerzkliniken, dass etwa ein Drittel der Betroffenen Cannabis gegen Migräne nutzt. (Melinyshyn, A. N.; Amoozegar, F. (2022). Rund ein Viertel berichtete von weniger Attacken, und rund 60 % von einer geringeren Schmerzstärke.
In einer ersten randomisierten kontrollierten Studie (2024, Schuster et al.) erhielten Patient:innen mit akuter Migräne vaporisiertes Cannabis in Blütenform oder Placebo. Ein Präparat mit den beiden pflanzlichen Cannabinoiden THC und CBD zeigte eine höhere Wahrscheinlichkeit für Schmerzreduktion nach zwei Stunden als Placebo.
THC und CBD bei Migräne
Die pflanzlichen Cannabinoide THC (Delta-9 Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) sind sich zwar in ihrer Struktur ähnlich, wirken aber im Körper über ganz unterschiedliche Wege und könnten so Migräne unterschiedlich beeinflussen. So vermittelt CBD seine Wirkungen weit weniger direkt über das Endocannabinoid-System als THC, sondern unter anderem über eine Vielzahl an anderen körpereigenen Rezeptoren.
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie hat untersucht, wie sich verschiedene Zusammensetzungen von Cannabis auf akute Migräneattacken auswirken könnten (Schuster, N.M. et al. (2024). Dabei wurden 92 Patientinnen und Patienten mit Migräne in vier Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt Kapseln mit 6% THC, eine mit 11% CBD, eine weitere mit einer Kombination aus 6% THC und 11% CBD, und eine Kontrollgruppe bekam ein Placebo.
Die Studie zeigte, dass die Kombination aus THC und CBD nach zwei Stunden Hinweise auf eine stärkere Schmerzlinderung gab als das Placebo. Ein Teil der Teilnehmenden in der Kombinationsgruppe berichtete nach zwei Stunden von einer deutlichen Verbesserung der Symptome.
THC wirkt dabei vor allem auf das zentrale Nervensystem und beeinflusst bestimmte Rezeptoren, die möglicherweise Schmerzen vermindern können. CBD hat eine vorwiegend entzündungshemmende Wirkung und könnte damit die Modulation von Schmerzprozessen unterstützen, ohne psychoaktive Effekte zu verursachen.
Die Kombination der beiden Substanzen scheint sich möglicherweise gegenseitig zu verstärken, was man auch als Synergieeffekt oder „Entourage-Effekt" bezeichnet.
Diese Studie liefert damit einen wichtigen wissenschaftlichen Hinweis darauf, dass sowohl THC als auch CBD alleine in der Therapie hilfreich sein könnten, eventuell aber eine Kombination von THC und CBD bei Migräne besonders wirksam sein kann.
Die Studie von Schuster et al. (2024) liegt allerdings bisher nur als Vorabdruck vor. Sie wurde noch nicht durch das sogenannte Peer Review, also die Überprüfung durch unabhängige Fachleute, bewertet, um die Ergebnisse weiter zu bestätigen.
Cannabis bei Migräne: Die Rolle von Terpenen
Während Schuster et al. (2024) erste Hinweise liefern, dass eine Kombination aus THC und CBD bei akuter Migräne zu bevorzugen sein könnte, sollte diese Schlussfolgerung mit Vorsicht betrachtet werden. Befragungen aus Patientenkohorten weisen vielmehr darauf hin, dass hoch-THC-dominierte Sorten wie OG Shark bevorzugt werden – möglicherweise aufgrund ihres spezifischen Terpenprofils.
Die Sorte OG Shark enthält verhältnismäßig viel β-Caryophyllen und β-Myrcen, Terpene mit entzündungshemmenden und analgetischen Eigenschaften, die zur Wirksamkeit beitragen könnten. Dies deutet darauf hin, dass die beobachteten Effekte nicht allein einer THC-CBD-Synergie zuzuschreiben sind, sondern auch durch das Zusammenspiel mit Terpenen erklärt werden könnten (Baron, 2018). Prospektive Studien, die Cannabinoid- und Terpenprofile differenziert analysieren, sind daher notwendig, bevor eine pauschale Empfehlung für THC-CBD-Kombinationen bei Migräne ausgesprochen werden kann.
Individuelle Wirkung von Cannabis bei Migräne
Es ist zusätzlich wichtig zu beachten, dass Cannabis auf jeden Menschen sehr individuell wirken kann. Ebenso gibt es unterschiedliche Formen und Verursachungen der Migräne, die verschiedene therapeutische Ansätze erfordern können. Die Wirkung von Cannabis-basierten Therapien kann daher von Person zu Person erheblich variieren.
Patienten sollten ausschließlich unter ärztlicher Anleitung ihren individuellen therapeutischen Weg gehen, um gemeinsam mit ihrem Arzt eine geeignete Cannabis Sorte und die passende Dosierung und Anwendungsart zu finden. Eine kontinuierliche medizinische Begleitung ist für eine sichere und effektive Behandlung unerlässlich.
Fazit: Chancen und Grenzen von Cannabis bei Migräne
Die wissenschaftliche Evidenz zu Cannabis bei Migräne ist wachsend, aber noch begrenzt. Beobachtungsdaten und erste kontrollierte Studien deuten auf mögliche Vorteile hin, doch fehlen bislang umfangreiche randomisierte Studien zu Wirksamkeit, Sicherheit, Dosierung und Langzeitfolgen. Weitere Forschung wird nötig sein, um präzisere Empfehlungen zur Anwendung und Patient:innenauswahl zu ermöglichen.
Rechtlicher Hinweis
Dieser Artikel dient ausschließlich der neutralen Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Die Anwendung von medizinischem Cannabis in Deutschland erfordert eine ärztliche Verschreibung und sollte nur unter medizinischer Aufsicht erfolgen.