
Inhaltsverzeichnis
Wichtigste Erkenntnisse
- Medizinisches Cannabis wird in der Onkologie primär zur Linderung von Chemotherapie-induzierter Übelkeit eingesetzt, nicht als Ersatz für Standardtherapien und nicht als krebsbekämpfende Behandlung.
- Die ASCO-Leitlinie von 2024 empfiehlt Cannabinoide (Dronabinol, Nabilon oder 1:1 THC:CBD-Extrakte) ausschließlich bei therapieresistenter Chemotherapie-induzierter Übelkeit nach Versagen der Standardantiemetika.
- WICHTIG: Bei Patienten unter Immuntherapie (Checkpoint-Inhibitoren) sollte Cannabis gemäß aktuellen Empfehlungen vermieden werden – Studien zeigen mögliche negative Auswirkungen auf das Therapieansprechen.
- Präklinische Laborergebnisse (Zellkulturen, Tiermodelle) lassen sich nicht automatisch auf den Menschen übertragen. Aus diesen Daten lässt sich keine therapeutische Wirksamkeit ableiten.
- Seit April 2024 ist medizinisches Cannabis in Deutschland kein Betäubungsmittel mehr und kann auf einem normalen Rezept verordnet werden.
- CBD-Dosen von 300 mg oder mehr pro Tag werden aufgrund fehlender Wirksamkeitsbelege und des Risikos von starken Leberwerterhöhungen von Enzymen nicht empfohlen.
Eine Krebsdiagnose verändert meistens alles und kommt mit vielen Fragen und Entscheidungen einher, die man als Betroffene oft schwer verstehen oder treffen kann. Viele Betroffene suchen nach Antworten, Hilfe und Ansätzen, unter anderem auch ergänzenden Behandlungsmöglichkeiten. Bei dieser Recherche stoßen viele Betroffene und Angehörige auf Cannabis. Im Internet kursieren darüber hinaus Berichte über angebliche Heilungen, während die Schulmedizin zurückhaltend bleibt. Aber was stimmt denn nun und welchen Ansatz darf man glauben und Hoffnung schenken?
Dieser Artikel fasst den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammen, basierend auf der ASCO-Leitlinie von 2024 – der bisher umfassendsten wissenschaftlichen Bewertung zum Thema (1). Er soll als wissenschaftlich fundierter Überblick für Patienten funktionieren und einen Überblick über den Stand der Krebsforschung, rechtliche Fragen, mögliche Wirkungsweisen und Antworten auf Fragen in diesem Zusammenhang geben.
Bevor wir über mögliche Therapieergänzungen und Wirkungsspektren diskutieren und berichten können, ist es wichtig, die Indikation von Cannabis bei Krebs in zwei fundamentale Ansätze zu unterscheiden:
- Symptomlinderung: Medizinisches Cannabis und Cannabinoide werden eingesetzt, um bestimmte Begleiterscheinungen von Krebserkrankungen und Krebstherapien zu lindern. Dazu können Übelkeit, Appetitlosigkeit oder Schmerzen gehören. Die stärksten Evidenzen gibt es hier für die Wirksamkeit bei Übelkeit.
- Tumorbekämpfung: Die Frage, ob Cannabis Krebszellen direkt bekämpfen oder das Tumorwachstum hemmen kann, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt.
Diese Unterscheidung zieht sich durch die gesamte Forschung und ist entscheidend für realistische Erwartungen.
Welche Rolle spielt medizinisches Cannabis in der begleitenden Krebstherapie?
Medizinisches Cannabis wird zurzeit in der Onkologie primär zur Symptomlinderung eingesetzt. Dazu zählt nicht die kurative Behandlung, um den Krebs selbst zu heilen oder zu bekämpfen.
Die ASCO-Leitlinie empfiehlt Cannabis und Cannabinoide ausschließlich für eine sehr spezifische Indikation: die Behandlung von therapieresistenter Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen (CINV), wenn Standardantiemetika versagen (1). Es ist also eine Reservetherapie und wird nicht als erste Wahl eingesetzt.
Die wissenschaftliche Datenlage zum Einsatz von Cannabis bei Krebs zeigt ein komplexes Bild zwischen hoher Patientennachfrage und begrenzter klinischer Evidenz. Studien zeigen hierbei folgende Erkenntnisse:
- 20 % bis über 40 % der Krebspatienten nutzen Cannabis zur Symptomkontrolle (2). Diese hohe Nutzungsrate kontrastiert jedoch mit der begrenzten wissenschaftlichen Evidenz.
- Die ASCO betont, dass der Zugang zu Cannabis der wissenschaftlichen Evidenz für seinen klinischen Nutzen vorausgeeilt ist.
- Viele der konsumierenden Patienten berichten zwar in Umfragen zu 70–90 % von einer subjektiven Symptomverbesserung, doch bestehen weiterhin deutliche Evidenzlücken und häufige Kommunikationsbarrieren zwischen Betroffenen und Behandlungsteams (2).
- Eine Metaanalyse der Studienlage zeigt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Cannabisarzneimitteln wie Nabiximols und Krebsschmerzen (3). Weitere Forschung ist hier erforderlich, um eine klare Aussage treffen zu können.
- Die MASCC-Leitlinie 2023 empfiehlt Cannabinoide bei Krebsschmerzen nicht außerhalb klinischer Studien. Ebenso gehen die Empfehlungen der ASCO-Kachexie-Leitlinie schwach gegen den Einsatz von Cannabinoiden bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (1).
Wie wirken Cannabinoide auf Krebszellen? – Präklinische Forschung

Wichtiger Hinweis:
Die folgenden Mechanismen wurden in Laborversuchen (Zellkulturen) und Tiermodellen beobachtet. Präklinische Ergebnisse lassen sich nicht automatisch auf den Menschen übertragen. Von Tausenden Substanzen, die im Labor vielversprechend wirken, schaffen es nur wenige durch klinische Studien bis zur Zulassung. Aus diesen Daten lässt sich keine therapeutische Wirksamkeit beim Menschen direkt ableiten.
Die präklinische Forschung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten Erkenntnisse über mögliche antitumorale Wirkmechanismen von Cannabinoiden gewonnen:
In Zellkulturen und Tiermodellen wurde beobachtet, dass THC und CBD verschiedene Signalwege beeinflussen können, die für das Tumorwachstum relevant sind (4,5). Zu den Mechanismen, die in Laborexperimenten beobachtet wurden, gehören:
- Die Induktion von Apoptose. Unter Apoptose versteht man den programmierter Zelltod – ein natürlicher Prozess, bei dem geschädigte Zellen kontrolliert absterben
- Die Aktivierung von Autophagie. Ein natürlicher Prozess in jeder Zelle, bei dem die Zelle ihre eigenen beschädigten oder unnötigen Bestandteile abbaut und recycelt.
- Die Hemmung der Zellproliferation und die Blockade der Tumorangiogenese (Gefäßneubildung) (4,6). Krebszellen teilen sich normalerweise unkontrolliert und schnell. Wenn diese Teilung gehemmt wird, kann der Tumor nicht mehr wachsen. Außerdem sind Tumoren ab einer bestimmten Größe auf die Neubildung von Blutgefäßen angewiesen. Eine Blockade dieser Angiogenese schneidet den Tumor von seiner Versorgung ab.
Am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Rostock haben Dr. Robert Ramer und Prof. Dr. Burkhard Hinz einen weiteren Mechanismus nachgewiesen:
- Cannabinoide können über die Bildung eines Hemmstoffs bestimmte Enzyme blockieren, mit denen sich Krebszellen im Körper ausbreiten.
Diese präklinische Forschung zeigt, wie Cannabinoide in Laborversuchen die Invasion von Tumorzellen in umliegendes Gewebe hemmen können (4).
Der Entourage-Effekt – eine Hypothese
Eine Laborstudie aus dem Jahr 2019 zeigte, dass reines THC in Zellkulturen andere Effekte hatte als Cannabis-Vollextrakte. Unterschiedliche Krebszelllinien reagierten auf unterschiedliche Cannabinoid-Kombinationen (7). Ob dieser sogenannte „Entourage-Effekt“ beim Menschen im Zusammenhang mit Krebs klinisch relevant ist, wurde bisher nicht in kontrollierten Studien untersucht. Neuere Pilotstudien deuten jedoch darauf hin, dass einzelne Terpene, etwa Limonen, in Kombination mit THC bestimmte Wirkungen beim Menschen modulieren könnten, auch wenn ein klinisch relevanter Entourage-Effekt insgesamt weiterhin nicht belegt ist (8,9).
Widersprüchliche Ergebnisse in der Grundlagenforschung
Die präklinische Forschung zeigt kein einheitliches Bild: In drei Tiermodellen (zwei Brustkrebs-Modelle und ein Lungenkrebs-Modell) förderte THC sogar das Tumorwachstum. Diese gegenläufigen Effekte verdeutlichen, wie komplex und schwer vorhersehbar die Wirkung von Cannabinoiden und der Verlauf von individuellen Krebserkrankungen ist.
Die ASCO-Leitlinie stellt zudem klar, dass die Evidenz für antineoplastische Wirkungen, also die Hemmung von Tumorwachstum, von Cannabis beim Menschen sehr begrenzt ist (1).
Krebs ist nicht gleich Krebs

Ein fundamentales Problem bei der Erforschung von Cannabis als Krebsmedikament wird oft übersehen: „Krebs“ ist keine einheitliche Krankheit. Es gibt über 200 verschiedene Krebsarten mit unterschiedlichen molekularen Mechanismen, genetischen Profilen, Signalwegen und Krankheitsverläufen (10).
Zum Beispiel entstehen Karzinome aus dem Epithelgewebe, wie Brust- oder Lungenkrebs, während Leukämien das Blut betreffen. Somit hat jede Krebsart unterschiedliche Eigenschaften, Wachstumsmuster und Risiken, weshalb auch die Behandlung individuell angepasst werden muss. Manche Krebsarten sprechen besser auf Chemotherapie an, andere benötigen gezielte Medikamente oder chirurgische Eingriffe.
Diese Heterogenität gilt auch für die Wirkung von Cannabinoiden: Verschiedene Tumorarten reagieren in präklinischen Modellen unterschiedlich auf THC, CBD oder Extrakte, teils mit wachstumshemmenden, teils mit wachstumsfördernden Effekten. Ein einzelner Wirkmechanismus, der für ‚alle Krebsarten‘ gilt, ist daher biologisch nicht plausibel und auch nicht feststellbar.
Warum fehlt klinische Evidenz für medizinisches Cannabis und Cannabinoide?
Mehrere strukturelle Gründe erschweren die klinische Forschung zu Cannabinoiden in der Krebsbehandlung:
- Patentproblem: THC und CBD sind natürlich vorkommende Moleküle und nicht patentierbar. Ohne Patentschutz ist eine Refinanzierung der hohen Zulassungskosten kaum möglich.
- Regulatorische Hürden: Der Schedule-I-Status in den USA und die jahrzehntelange Einstufung als Betäubungsmittel haben die Forschung um Generationen zurückgeworfen. Jahrzehntelang galt Cannabis in Europa und Deutschland als strikt kontrolliertes Betäubungsmittel. Forschung war nur mit aufwendigen Ausnahmegenehmigungen möglich, was Studien erheblich verzögert oder verhindert hat. Auch heute noch sind behördliche Auflagen, Genehmigungsverfahren und Kostenbarrieren deutlich höher als bei vielen anderen Wirkstoffen.
- Komplexität: Medizinisches Cannabis enthält über 140 Cannabinoide und hunderte weitere Verbindungen. Jede Pflanze hat ein einzigartiges chemisches Profil.
- Fehlende wirtschaftliche Anreize für große klinische Studien: Da viele Cannabisprodukte bereits als Blüten oder Extrakte verfügbar sind und nicht exklusiv vermarktet werden können, gibt es für Pharmaunternehmen wenig Motivation, sehr teure Phase-III-Studien zu finanzieren.
Man muss also ganz klar sagen, dass die geringe oder fehlende klinische Evidenz ein therapeutisches Potenzial nicht ausschließt. Sie zeigt vielmehr, dass die Forschung am Menschen noch in den Anfängen steckt.

Welche klinischen Studien belegen Wirksamkeit und Sicherheit?
CINV – Die stärkste Evidenzbasis: Eine australische Phase-II/III-Studie liefert die überzeugendsten Daten für symptomatische Wirkungen. Patienten mit therapieresistenter Übelkeit erhielten Kapseln mit 2,5 mg THC : 2,5 mg CBD. Ergebnis: Vollständige Ansprechrate von 25 % mit THC:CBD gegenüber 14 % mit Placebo. 83 % der Patienten bevorzugten das THC:CBD-Präparat (11). Dies belegt eine symptomatische Wirksamkeit bei schwer behandelbarer CINV.
Glioblastom-Studie: Das Glioblastom ist der aggressivste Hirntumor bei Erwachsenen – nur 36 % überleben das erste Jahr. Forscher testeten in einer Phase-Ib-Studie Nabiximols bei 21 Patienten und beobachteten eine akzeptable Verträglichkeit sowie Hinweise auf höhere Ein-Jahres-Überlebensraten. Da dies jedoch eine kleine, frühe Studie war, empfehlen sie ausdrücklich größere randomisierte Studien zur Bestätigung (12).
Schmerztherapie: Für tumorbedingte Schmerzen liegt bislang nur begrenzte und eher schwache Evidenz für Nabiximols vor. Demgegenüber zeigen systematische Übersichtsarbeiten und Beobachtungsstudien zu chronischen, auch nicht tumorbedingten, Schmerzen insgesamt eine kleine bis moderate analgetische Wirksamkeit von Cannabinoiden. Real-World-Daten aus der Schmerz- und Palliativmedizin (z. B. Registeranalysen) bestätigen zudem einen breiten klinischen Einsatz bei unterschiedlichen Schmerzformen (3).
Lebensqualität: Eine große prospektive australische Beobachtungsstudie (QUEST Initiative) mit über 2.300 Patienten zeigte klinisch bedeutsame Verbesserungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität nach dreimonatiger Behandlung mit medizinischem Cannabis. Die Verbesserungen betrafen insbesondere Schmerzen, Schlaf, Müdigkeit sowie Angst und Depression.
Wichtig:
Diese Daten stammen aus einer unkontrollierten Beobachtungsstudie ohne Placebo-Gruppe und können daher keine kausale Wirksamkeit belegen (14).
Da die QUEST-Kohorte nicht speziell aus Krebspatienten bestand, lassen sich die Ergebnisse nicht direkt auf onkologische Erkrankungen übertragen. Dennoch deuten die beobachteten Verbesserungen bei Angst, Schlafstörungen und Belastungssymptomen darauf hin, dass Cannabinoide potenziell auch für die psychische und symptomatische Unterstützung von Krebspatienten relevant sein könnten.
Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen

Häufige Nebenwirkungen umfassen Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, kognitive Beeinträchtigungen und psychische Effekte wie Euphorie oder Angst. Bei älteren Patienten besteht ein erhöhtes Risiko für Verwirrtheit und Stürze (1).
Wichtige Wechselwirkungen
Cannabinoide hemmen unsere körpereigenen Cytochrom-P450-Enzyme in der Leber (insbesondere CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19), die für den Abbau vieler Chemotherapeutika verantwortlich sind. Laut ASCO-Leitlinie gilt die Kombination mit Warfarin als sehr hohes Risiko, mit Buprenorphin und Tacrolimus als hohes Risiko (1).
- Tamoxifen: Der Metabolit von Tamoxifen ist ein inverser Agonist am CB2-Rezeptor unseres Endocannabinoidsystems. Bei Patientinnen unter Tamoxifen-Therapie sollte von einer Kombination mit Cannabinoiden abgeraten werden.
- Immuntherapien: THC und CBD besitzen immunsuppressive Eigenschaften, bei vielen modernen Immuntherapien nicht erwünscht.
- Chemotherapeutika: THC und CBD hemmen bestimmte Transportproteine (P-Glykoprotein, BCRP, MRP1), die für den Transport von Zytostatika wichtig sind.
- Opioide: Cannabinoide können die Wirkung von Opioiden verstärken, gleichzeitig aber deren Metabolisierung beeinflussen (v. a. über CYP3A4). Dadurch können sowohl verstärkte Sedierung als auch variable Plasmaspiegel auftreten, eine engmaschige Überwachung ist erforderlich.
Warnung zur CBD-Dosis: Außerhalb klinischer Studien empfiehlt die ASCO aufgrund möglicher Hepatotoxizität von hochdosiertem CBD keine Verwendung von Dosen ab etwa 300 mg CBD pro Tag oder höher. Eine Metaanalyse zeigte ein fast sechsfach erhöhtes Risiko für klinisch relevante Leberwerterhöhungen bei höheren Dosen (1).
Cannabis-Rezept in Deutschland 2025
Seit dem 1. April 2024 ist medizinisches Cannabis in Deutschland kein Betäubungsmittel mehr. Eine Verschreibung kann auf einem normalen Rezept oder als E-Rezept erfolgen (16).
Seit der Legalisierung kann jeder approbierte Arzt medizinisches Cannabis verschreiben. Ob die Krankenkasse die Kosten erstattet, hängt jedoch vom verschreibenden Arzt ab:
Seit Oktober 2024 können Onkologen, Schmerztherapeuten und Palliativmediziner Cannabis verordnen, dessen Kosten die Krankenkasse ohne vorherige Genehmigung übernimmt.
Bei Verordnungen durch andere Ärzte muss für die Erstverordnung ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt und genehmigt werden, damit die Kosten übernommen werden. Patienten in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) erhalten die Kostenübernahme generell ohne Genehmigungsverfahren. Ohne Kassengenehmigung können Patienten Cannabis auch als Privatrezept auf eigene Kosten erwerben.

Darreichungsformen für Krebspatienten: Blüten, Öle, Extrakte und synthetische Cannabinoide
Krebspatienten stehen verschiedene Darreichungsformen zur Verfügung, die sich in Wirkungseintritt, Dauer und Dosierbarkeit unterscheiden.
- Getrocknete Blüten werden typischerweise inhaliert (geraucht oder vaporisiert) und bieten einen schnellen Wirkungseintritt innerhalb von Minuten. Diese Form ermöglicht eine individuelle Dosisanpassung, ist jedoch bei Patienten mit Lungenerkrankungen oder immungeschwächten Zuständen kontraindiziert aufgrund potenzieller Infektionsrisiken.
- Cannabisöle und Extrakte werden oral oder sublingual eingenommen. Der Wirkungseintritt erfolgt verzögert (30–90 Minuten), die Wirkdauer ist jedoch länger. Bei sublingualer Einnahme von THC-Öltropfen dauert es 5 bis 10 Minuten, bis die Wirkung spürbar ist; der Höhepunkt wird nach 30 bis 45 Minuten erreicht.
- Fertigarzneimittel umfassen in Deutschland Sativex (THC:CBD-Mundspray) und Canemes (Nabilon-Kapseln). Nabilon ist ein synthetisches THC-Analogon und muss weiterhin auf Betäubungsmittelrezept verordnet werden
Praktische Hinweise für Betroffene

Wenn Sie erwägen, Cannabis ergänzend zu Ihrer Krebstherapie einzusetzen, sind folgende Schritte praktisch:
- Sprechen Sie offen mit Ihrem Onkologen. Viele Ärzte sind heute aufgeschlossener als noch vor einigen Jahren. Nur im offenen Gespräch können mögliche Wechselwirkungen berücksichtigt werden.
- Ersetzen Sie niemals bewährte Therapien durch Cannabis. Die Evidenz für eine direkte Antitumorwirkung beim Menschen fehlt. Cannabis kann eine Ergänzung sein, kein Ersatz.
- Achten Sie auf Qualität. Medizinisches Cannabis aus der Apotheke unterliegt strengen Qualitätskontrollen. Produkte vom Schwarzmarkt können stark verunreinigt sein.
- Dokumentieren Sie Ihre Erfahrungen. Notieren Sie Dosierung, Einnahmeform und Wirkungen, sowohl positive als auch negative.
- Nutzen Sie seriöse Anlaufstellen. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) bietet ein kostenloses Patiententelefon: 0800 / 0226622 (freitags 11:00–13:00 und 14:00–16:00 Uhr).
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die ASCO-Leitlinie 2024 liefert erstmals evidenzbasierte Empfehlungen für den Einsatz von Cannabis bei Krebspatienten – und diese fallen differenzierter aus, als viele Betroffene erwarten:
- Empfohlen: Dronabinol, Nabilon oder qualitätskontrollierte 1:1 THC:CBD-Extrakte können bei therapieresistenter Chemotherapie-induzierter Übelkeit eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn Standardantiemetika versagen.
- Nicht empfohlen: Für Krebsschmerzen, Appetitlosigkeit/Kachexie und andere Symptome gibt es keine ausreichende Evidenz. Die ASCO empfiehlt Cannabis hier für den Einsatz außerhalb klinischer Studien.
- Kontraindiziert: Bei Patienten unter Immuntherapie (Checkpoint-Inhibitoren) raten aktuelle Leitlinien aufgrund besorgniserregender Studienergebnisse von Cannabis ab. Ebenso sollten CBD-Dosen von 300 mg/Tag oder mehr vermieden werden.
Die Entscheidung für eine Cannabistherapie sollte stets im offenen, vorurteilsfreien Gespräch mit dem behandelnden Onkologen erfolgen.
Insgesamt zeigt die aktuelle Evidenz, dass die Einsatzgebiete von medizinischem Cannabis und Cannabinoiden in der Onkologie klar begrenzt und vor allem symptomorientiert sind: Sie können bei therapieresistenter Chemotherapie-induzierter Übelkeit helfen. Für andere Symptome oder gar zur direkten Tumorbekämpfung gibt es bislang keine ausreichende Evidenz für deren Wirksamkeit.
Gleichzeitig erfordern potenzielle Risiken, insbesondere unter Immuntherapie sowie bei hohen CBD-Dosen, eine sorgfältige Abwägung. Cannabis bleibt damit eine von mehreren Möglichkeiten zur unterstützenden Behandlung, die stets individuell und in enger Abstimmung mit dem behandelnden Onkologen entschieden werden sollte.
Rechtlicher Hinweis
Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und ersetzt keine medizinische Beratung. Die Anwendung von Cannabisprodukten zu therapeutischen Zwecken sollte nur in Absprache mit qualifiziertem medizinischem Fachpersonal erfolgen. Es wird keine Haftung für Schäden oder Nebenwirkungen übernommen, die durch unsachgemäßen Gebrauch entstehen können. Weder werden Heil- oder Wirkversprechen gegeben, noch soll die Nutzung ohne ärztlichen Rat angeregt werden. Nutzer sind verpflichtet, die in ihrer Region geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu beachten und eigenverantwortlich zu handeln.
Quellen
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