
Inhaltsverzeichnis
Wichtigste Erkenntnisse
- Cannabis und Kortikosteroide („Kortison“) werden in der Medizin beide bei entzündlichen Erkrankungen eingesetzt, sie beruhen aber auf unterschiedlichen Wirkmechanismen.
- Erste Studien und Fachpublikationen diskutieren mögliche Wechselwirkungen, klinische Belege fehlen bislang noch.
- Cannabinoide, insbesondere CBD (Cannabidiol), könnten den Abbau von Kortison in der Leber beeinflussen; die Relevanz für den Menschen wird noch wissenschaftlich untersucht.
- Hinweise aus präklinischen Arbeiten und kleineren Untersuchungen legen nahe, dass es additive Effekte geben könnte.
- Sowohl Cannabis als auch Kortison können Nebenwirkungen hervorrufen; eine gleichzeitige Anwendung sollte deshalb ärztlich begleitet werden.
Die gleichzeitige Anwendung von medizinischem Cannabis und Kortikosteroiden (umgangssprachlich „Kortison“) wirft bei vielen Patienten Fragen auf. Beide Substanzgruppen werden häufig zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen eingesetzt, jedoch beruhen sie auf unterschiedlichen Wirkmechanismen.
Im Folgenden untersuchen wir hier die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu möglichen Wechselwirkungen von medizinischem Cannabis und Kortison, erklären bestehende Risiken und kommentieren therapeutischen Erfahrungen bei der kombinierten Anwendung.
Wie wirken Kortison und Cannabis im Körper?
Kortison wirkt im Körper vor allem über Glukokortikoid-Rezeptoren und kann Entzündungen hemmen, während Cannabis über das Endocannabinoid-System in Immun- und Entzündungsprozesse eingreifen kann.
Kortison: Hormonähnliche Wirkung über Glukokortikoid-Rezeptoren
In unserem Körper wird das körpereigene Pro-Hormon Kortison in der Leber zum Hormon Kortisol umgewandelt, welches dann als Entzündungshemmer wirken kann (1). Glukokortikoide wie Prednisolon oder Hydrokortison wurden durch chemische Synthese von pharmazeutischen Firmen gezielt so entwickelt, dass sie Kortisol ähneln.
Sie durchdringen wie Kortison als Steroidhormone die Zellmembran und binden intrazellulär an spezielle Glukokortikoid-Rezeptoren. Diese Rezeptoren gehören zum endokrinen System, einem Hormonsystem, das unter anderem unseren Stoffwechsel, Wachstum und Entzündungsreaktionen reguliert (2).
Die Bindung von Kortisol oder Kortisol-ähnlichen Substanzen führt zu einer umfassenden Hemmung der Entzündungsreaktion:
- Unterdrückung der Bildung entzündungsfördernder Botenstoffe (Zytokine)
- Immunsuppressive Wirkung
- Antiallergische Wirkung
Die Wirkung tritt je nach Darreichungsform innerhalb von 30 Minuten bis zu mehreren Stunden ein.
Forschung zum Endocannabinoid-System im Zusammenhang mit Entzündungen
Pflanzliche Cannabinoide wie THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) ähneln strukturell körpereigenen Stoffen und können so an den dafür vorhandenen körpereigenen Rezeptoren binden. Allerdings binden sie an die Rezeptoren eines anderen physiologischen Regulierungssystems, dem Endocannabinoid-System (ECS) (3). Das ECS ist beim Menschen an der Regulation von Entzündungen beteiligt und beeinflusst dabei zahlreiche Signalwege des Immunsystems. Die molekularen Grundlagen sind in Humanstudien gut nachvollzogen, für therapeutische Ansätze bedarf es aber noch weiterer klinischer Forschung (4).
Mögliche Risiken und Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Anwendung
Die gleichzeitige Einnahme von Cannabis und Kortison sollte grundsätzlich mit Vorsicht erfolgen, da beide Substanzen den Stoffwechsel im Körper beeinflussen können. Wissenschaftliche Studien untersuchen derzeit, welche Wechselwirkungen und Nebenwirkungen dabei auftreten können.
Einfluss auf den Kortison-Abbau in der Leber
Kortison und Cannabis werden in der Leber über ähnliche Stoffwechselwege verarbeitet, insbesondere über das CYP450-Enzymsystem (5, 6). Cannabinoide – insbesondere CBD, weniger Hinweise dafür gibt es auch für THC – können dabei das Enzym CYP3A4 hemmen, das ebenfalls am Abbau vieler Corticosteroide beteiligt ist (7). Dies kann dazu führen, dass sich ihre Wirkungen gegenseitig verstärken oder abschwächen, weshalb mögliche Risiken und Nebenwirkungen bei einer gleichzeitigen Anwendung sorgfältig beobachtet werden sollten (8).
Verstärkte Nebenwirkungen durch die Kombination
Substanz / Kombination | Mögliche Nebenwirkungen | Studienlage | Ärztliche Empfehlungen |
Corticosteroide | Erhöhtes Risiko für Infektionen, Blutzuckerentgleisungen, psychiatrische Veränderungen | Gut untersucht; bekannte Nebenwirkungen in klinischen Studien belegt | Risiken beachten, insbesondere bei Vorerkrankungen und längerer Einnahme; ärztliche Kontrolle erforderlich |
THC-haltiges Cannabis | Kann psychoaktiv wirken; vorübergehend Gedächtnis, Stimmung und andere kognitive Funktionen beeinflussen | Klinische und experimentelle Studien vorhanden, Datenlage begrenzt | Vorsicht bei kognitiven Belastungen; ärztliche Beratung vor Anwendung empfohlen |
Kombination Kortison + Cannabis | Kann additive Effekte oder Wechselwirkungen hervorrufen; Nebenwirkungen von beiden Substanzen können verstärkt auftreten | Studienlage noch begrenzt, Hinweise auf mögliche relevante Risiken | Nur unter ärztlicher Kontrolle anwenden; Nutzen-Risiko-Verhältnis individuell abwägen; Nebenwirkungen beobachten |
Die Verträglichkeit der Kombination von Kortison und Cannabinoiden ist von Mensch zu Mensch anders und hängt von Faktoren wie Dosierung, Anwendungsdauer, individueller Metabolisierung und Grunderkrankung ab.
Wechselwirkungen zwischen Cannabis und Medikamenten mit Kortison
Interessanterweise weisen THC und Kortikosteroide strukturelle Ähnlichkeiten auf. Frühe Forschungsarbeiten aus den 1990er Jahren untersuchten, ob THC möglicherweise über Glukokortikoid-Rezeptoren wirken könnte (9). Die Studien zeigten jedoch, dass die Hauptwirkungen der Cannabinoide primär über das Cannabinoid-Rezeptorsystem und nicht über Glukokortikoid-Rezeptoren vermittelt werden, obwohl gewisse Überschneidungen in den nachgeschalteten Signalwegen existieren (10).
Aktuelle Studienlage: Noch wenige, aber wichtige Hinweise
Die aktuelle Studienlage zeigt bisher keine publizierten schwerwiegenden pharmakologischen Wechselwirkungen, wobei die Datenlage begrenzt ist zwischen Cannabinoiden und Kortikosteroiden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Cannabis die Verstoffwechslung oder Elimination von Kortikosteroiden signifikant beeinflusst. Allerdings ist die spezifische Forschung zu dieser Kombination noch begrenzt, und weitere klinische Studien sind erforderlich.
Kann Cannabis Kortison ersetzen oder ergänzen?
In bestimmten Fällen könnte medizinisches Cannabis von einem Behandler als Ergänzung oder teilweise Alternative zu Kortikosteroiden erwogen werden, wie z.B. bei chronischen Schmerzzuständen mit entzündlicher Komponente (11) und bei Autoimmunerkrankungen mit mildem bis moderatem Verlauf.
Therapeutische Überlegungen: Mögliche Synergien und Risiken
Für einige Indikationen könnte die Kombination therapeutische Vorteile bieten:
- Entzündliche Erkrankungen: Beide Substanzgruppen wirken anti-inflammatorisch (anti-entzündlich) über unterschiedliche Mechanismen. Einige wissenschaftliche Arbeiten haben bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder entzündlichen Darmerkrankungen untersucht, ob sie synergistische Effekte zeigen (12,13,14,15,16)
- Nebenwirkungsmanagement:Cannabis wird in Studien als möglicher Ansatz zur Linderung bestimmter Nebenwirkungen der Kortikosteroide untersucht, etwa Übelkeit oder Appetitlosigkeit bei niedrigen Dosen (17).
Wichtige Hinweise für Patienten und Ärzte
Die gleichzeitige Anwendung von medizinischem Cannabis und Kortikosteroiden sollte ausschließlich unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Dafür ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung unerlässlich. Außerdem sollten beide Medikamente vorsichtig dosiert und langsam eindosiert werden.
Blutwerte, Immunstatus und psychischem Befinden sollten ebenfalls regelmäßig ärztlich überprüft und besprochen werden.
Vorsicht bei bestimmten Patientengruppen
Folgende Personen sollten die Kombination meiden oder nur unter besonders engmaschiger Kontrolle anwenden:
- Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen
- Personen mit schwerer Immunsuppression
- Patienten mit unkontrolliertem Diabetes mellitus
- Schwangere und Stillende
Fazit
Nach derzeitigem Wissensstand sind keine schwerwiegenden pharmakologischen Wechselwirkungen zwischen Cannabis und Kortikosteroiden (Kortison) bekannt. Allerdings kann es bei der Kombination beider Wirkstoffe zu Wechselwirkungen kommen, da beide Substanzen ähnliche Stoffwechselwege in der Leber nutzen und sich ihre Wirkungen dadurch gegenseitig verstärken oder abschwächen können.
Deswegen sollte eine Anwendung immer in ärztlicher Begleitung und unter sorgfältiger Beobachtung der Blutwerte, des Immunstatus und dem psychischem Befinden erfolgen.
Rechtlicher Hinweis
Dieser Artikel dient ausschließlich der neutralen Information und ersetzt keine ärztliche Beratung. Die Anwendung von medizinischem Cannabis erfordert eine ärztliche Verschreibung.
Quellen
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